Opportunitätskosten – VWL und die Praxis

Ein paar Semester Vorlesungen in Wirtschaft, einige Jahre Selbstständigkeit und Unternehmertum. Zwei Dinge, die nicht unbedingt nahtlos ineinander übergehen müssen. Dennoch habe ich mich einmal auf die Suche nach Konzepten in der theoretischen Wirtschaft gemacht, die mich auch im realen beruflichen Alltag begleiten. Heute: Opportunitätskosten.

Was sind Opportunitätskosten?

Kurz:

Worauf man verzichten muss, um eine bestimmte Gütereinheit zu erlangen.

Ob privat oder im beruflichen Alltag, wir müssen ständig mit knappen Ressourcen handeln und Entscheidungen treffen, wie wir diese einsetzen. Eine der wahrscheinlich wichtigsten Ressourcen ist Zeit. Zeit gibt es nur einmal. Ich kann die nächsten 30 Minuten an diesem Text schreiben oder ich kann mir eine Folge von The Big Bang Theorie anschauen oder früh ins Bett gehen um morgen früher aufzustehen und dann mehr Zeit zu haben.

Wenn ich mich bei der Auswahl einer Alternativen für etwas entscheide, entscheide ich mich gleichzeitig auch gegen etwas anderes. Dieses andere sind dann die „Kosten“, die ich quasi zusätzlich zu den direkten eingesetzten Ressourcen habe. Da ich mich offensichtlich für das Schreiben dieses Artikels entschieden habe, habe ich weniger Zeit zu entspannen (eine Serie schauen) oder bin sogar etwas länger wach und brauche dafür morgen früh ebenfalls etwas länger bevor ich wieder produktiv im Büro sitze und dabei dann Geld verdiene. Hmm, ganz schön teuer so ein kleiner Blogbeitrag.

Opportunitätskosten im beruflichen Alltag

Während es im privaten Umfeld häufig um Alternativen geht, die eine Entscheidung aufgrund begrenzter Zeit erfordern, geht es im Beruflichen häufig direkt um die Ressource Geld. Dabei unterscheidet sich die Herangehensweise noch deutlich zwischen Selbstständigen und Unternehmern (siehe unten).

Meiner Meinung nach werden die Opportunitätskosten von zu wenigen – Selbstständigen wie Unternehmern – bewusst wahrgenommen. Dabei sind sie eines der grundsätzlichen Entscheidungskriterien und sowohl im Hier und Jetzt als auch in der strategischen Planung relevant.

Opportunitätskosten im Alltag eines Selbstständigen

Bei Selbstständigen handelt es sich meist um Einzelkämpfter in einem bestimmten Bereich. Als solche haben sie, wie jeder Privatmensch auch, die Zeit als ihr beschränktestes Gut. Dass ich hier Glück und Gesundheit einmal ausklammere sei mir verziehen. Ich kann als Programmierer nur eine bestimmte Anzahl an Stunden arbeiten – im Extremfall 24 pro Tag. Nehmen wir nun aber an, ich habe eine mir für produktive Tätigkeiten zur Verfügung stehende Zeit von 8 Stunden am Tag und kann meinen Kunden für jede Stunde 50€ in Rechnung stellen.

Da viele Kunden aber ungern pro Stunde bezahlen, sondern lieber für einen Festpreis, versuche ich als Selbstständiger bei der Kalkulation eines Angebots zunächst die Stunden zu ermitteln die ich für die Umsetzung brauche und multipliziere das mit meinem Stundensatz. Nehmen wir für das folgende Beispiel also einmal an, ich habe mit 2 Stunden Aufwand gerechnet, stelle dem Kunden also am Ende 100€ in Rechnung. Nach diesem Auftrag würde ich weitere Aufträge mit einem kalkulierten Stundensatz von 50€ abarbeiten können.

Nachdem ich nun die Arbeit begonnen habe stelle ich fest, dass ich das Ziel mit meinen Kenntnissen gar nicht erreichen kann. Den Kunden will ich aber auch nicht verprellen. Jetzt stehe ich vor der Wahl – frage ich einen Fachmann, der für seine Hilfe 50€ von meinen 100€ haben will oder helfe ich mir dank Google selbst und schustere das irgendwie zusammen. Nehmen wir an dafür brauche ich weitere 3 Stunden.

Entscheidung in der Theorie

Was würde ich jetzt tun, wenn ich mir die Opportunitätskosten bewusst machen würde?

Wie du natürlich durch schnelles Mitrechnen – oder meine offensichtliche Frageweise – schon lange weißt, wäre die Hilfe des Kollegen vorzuziehen.

Warum? Weil ich dann die 3 Stunden die ich sonst verloren hätte an einem anderen Projekt Geld verdienen kann.

1. Mit Hilfe eines Kollegen:

+ 100€ Gesamthonorar

– 50€ Fremdkosten

+ 3h * 50€ an einem anderen Projekt

= 200€ für mich (entspricht immerhin noch 40€ / h in den 5 Stunden)

 

2. Mit Selbsthilfe:

+ 100€ Gesamthonorar

= 100€ für mich (entspricht 20€ / h in den 5 Stunden)

 

Die Opportunitätskosten zwischen Selbsthilfe und Fremdhilfe könnte man jetzt mit der Differenz aus beiden Alternativen mit 100€ angeben.

Entscheidung in der Praxis

Die die meisten Selbstständigen aber keine volle Auslastung haben, oder noch deutlich geringere Stundensätze oder sich schlecht organisieren oder entscheiden können, entscheiden sich die meisten für die Selbsthilfe. Das führt dann dazu, dass Übersetzer sich ihre Webseite selbst bauen oder farbenblinde Programmierer machen Web-Layouts. Und da ja jeder schreiben kann, haben Texter es schwer ordentliche Stundensätze zu verlangen. Am Ende braucht jeder mehr Zeit und verdient weniger Geld.

Das ist keine Kritik am Einzelnen, aber gerade Selbstständige klammern sich eher an das was sie haben (die Aussicht auf eine Bezahlung) als das, was noch nicht da ist (mehr Zeit für neue Aufträge). Gerade aber dieses Nicht-loslassen-können führt häufig zu Stress und Stillstand.

Opportunitätskosten im Alltag eines Unternehmers

Die Perspektive eines Unternehmers auf Opportunitätskosten ist eine etwas andere. Zwar ist seine persönliche Zeit begrenzt, aber die Zeit, in seinem Unternehmen etwas erledigen zu lassen ist im Optimalfall skalierbar. Wenn er z.B. pro zeitgleichen Auftrag einen Mitarbeiter beschäftigen kann, stellt er bei Wachstum und gleichzeitiger Bearbeitung von 2 Aufträgen einfach einen weiteren Mitarbeiter ein.

Natürlich gibt es gerade viele kleine Unternehmen – wie auch mein eigenes – in denen gerade in der Wachstumsphase noch nicht das Auftagsvolumen da ist um planungssicher Mitarbeiter zu beschäftigen. Da muss auch der Gründer mit anpacken. Dabei bin ich mittlerweile recht schnell darin geworden zu entscheiden, ob sich der eigene Aufwand lohnt oder man doch etwas outsourcen kann.

Ausgehend davon, dass es Ziel eines Unternehmens ist zu wachsen und allen Beteiligten (nicht nur finanziellen) Wohlstand zu bringen, besteht die Herausforderung in der Praxis eher darin, zwischen den Opportunitätskosten der Zukunft zu entscheiden. Das Risiko liegt also nicht darin, ein paar Stunden in eine Tätigkeit zu investieren, die mich nicht weiterbringt, sondern Wochen, Monate oder Jahre in eine Entwicklung zu stecken, die sich am Ende nicht lohnt.

Mit einigen meiner Projekte bin ich mittlerweile so weit. Sie laufen schon sehr gut und ich schaue natürlich, wie es weiter geht. Selbst mit allem Geld der Welt könnte ich aber wahrscheinlich nicht alle meine Ideen gleichzeitig umsetzen, also muss ich überlegen, wie hoch das Potential jeder einzelnen Idee ist noch bevor ich damit anfange. Da es hier um Wachstum geht muss bei jeder aktuellen Tätigkeit auch eine Art Langzeiteffekt berücksichtigt werden.

Um das Risiko gerade bei langfristig angelegten Projekten etwas abzufedern überlegen wir häufig, wie wir kleine Testballons oder Dummies bauen und diese Live testen können. Das ist gerade in der IT-Startup-Szene schon sehr bekannt, wird meiner Meinung nach aber noch zu selten wirklich umgesetzt.

Fazit

Ob privat, als Selbstständiger oder Unternehmer, ich sollte mir immer überlegen, ob es zu meiner aktuellen Tätigkeit nicht Alternativen gibt, bzw. was ich konkret oder virtuell aufgebe. Wichtig sind hier natürlich Erfahrungswerte, die erst nach ein paar Jahren wirklich konkret werden. Dennoch kann ich jedem Empfehlen, den Faktor privater und beruflicher Zeit deutlich mehr zu schätzen.

Wiss. Quelle: Mankiew – Grundzüge der Volkswirtschaftslehre, 3. Auflage